Pressemitteilung des Ärztevereins Ingelheim und Umgebung e.V. zur Schließung der Bereitschaftsdienstpraxis Ingelheim

Der Ärzteverein wurde 1976 gegründet, um unter anderem die Bereitschaftspraxis Ingelheim zu organisieren und zu überwachen. Alle niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte aus den Städten Ingelheim und Gau-Algesheim (gesamte Verbandsgemeinde) und Stadecken-Elsheim sind ordentliche Vereinsmitglieder (aktuell etwa 80). Hinzu kommen Mitglieder, die im Bezirk wohnen oder Arbeiten (ca. 30). Der Vereinszweck umfasst auch Beratung und „Vernetzung“ der Mitglieder sowie Repräsentation ihrer Belange in der Öffentlichkeit.

Der Betrieb der Bereitschaftsdienstpraxis im Ingelheimer Krankenhaus wurde 2010 im Rahmen einer Novellierung der Bereitschaftsdienstordnung durch die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz (KV) übernommen. Damals wurde das Einzugsgebiet mit 51454 Personen angegeben. Die Stundenvergütung für dort eingesetzte Ärzte betrug 30 Euro (unter der Annahme von 3% durchschnittlicher jährlicher Steigerung wären das aktuell 44 Euro). Die Umlage, die jede(r) Niedergelassene monatlich entrichten muss, betrug damals 125 Euro (diese sollte bei jährlich 3% Zunahme nach 13 Jahren 184 Euro betragen – 2023 waren es 270 Euro, ab 1.1.24 sollen es 340 Euro sein).

Die Übernahme wurde damals am 20.11. für den folgenden Jahreswechsel angeordnet. Auch in diesem Jahr wurde die Schließung der Bereitschaftsdienstpraxis bzw. -zentrale Ingelheim (BDZ) zum 1.1.24 erst Ende November durch die KV bekanntgegeben, und löste auch im Gesundheitsministerium, das zwar für die Rechtsaufsicht der KV zuständig ist, jedoch auf die operativen Entscheidungen keinen Einfluss hat, Bestürzung und Unverständnis aus (https://mwg.rlp.de/service/pressemitteilungen/detail/gesundheitsminister-clemens-hoch-kassenaerztliche-vereinigung-rheinland-pfalz-muss-aerztliche-versorgung-im-bereitschaftsdienst-sicherstellen), ebenso wie bei den durch die BDZ vertretenen Ärztinnen und bei tausenden Patienten, die in den letzten Jahren die Dienste in Anspruch nehmen mussten (2022 waren es 5786).

Als Grund für die Reduktion des Bereitschaftsdiensts im gesamten Bundesland wurde eine Erhöhung der Personalkosten für bestimmte Ärzte (sogenannte Poolärzte, die überwiegend Bereitschaftsdienste machen) angegeben, die nach einem Urteil des Bundessozialgerichts vom Oktober sozialversicherungspflichtig sind.

Der Ärzteverein Ingelheim und Umgebung e.V. geht davon aus, dass Möglichkeiten eines wirtschaftlichen Weiterbetriebs der BDZ nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Falls erforderlich würde eine weitere Reduktion der Öffnungszeiten von bisher 56 auf 40 Stunden pro Woche (Mittwoch 14-22 Uhr, Freitag 16-22 Uhr, Samstag 09-22 Uhr, Sonntag 09-22 Uhr) die Personalkosten selbst unter der Annahme von 100 Euro Betriebskosten pro Stunde (Lohn mit Nebenkosten für eine Fachkraft am Empfang und eine Ärztin/Arzt) auf ca. 220.000 Euro senken. Die Stadt Ingelheim stellt die gut geeigneten und zweckdienlich eingerichteten Räume seit Jahren kostenfrei zur Verfügung, sodass für den Weiterbetrieb höchstens mit 20.000 Euro an weiteren Kosten zu rechnen ist. Für die Behandlung der Patienten ist nach vorsichtigen Berechnungen mit Einnahmen von etwa 176.320 Euro zu rechnen. Damit verbliebe ein Jahresdefizit der BDZ von 64.000 Euro. Aus der Umlage (s.o.) der Kassenärzte im Verbreitungsgebiet ergeben sich künftig für die KV Einnahmen von etwa 326.000 Euro jährlich. Damit würden strukturschwächere Regionen im Land, in denen sich der Bereitschaftsdienst nicht so effizient organisieren lässt wie in Ingelheim, oder wo keine so guten und günstigen Räume zur Verfügung stehen, noch mit 262.000 Euro von Ärzten „aus Ingelheim und Umgebung“ unterstützt.

Das Team aus qualifiziertem Assitenzpersonal und Ärzten in Ingelheim ist seit Jahren aufeinander eingespielt und Rückmeldungen von Patienten sind fast ausschließlich positiv. Es ist überwiegend nicht davon auszugehen, dass sie in andere Bereitschaftspraxen wechseln. Gerade an medizinischem Personal besteht im Rhein-Main-Gebiet ein Fachkräftemangel.

Die Unterstützung zum Erhalt der Bereitschaftspraxis ist groß. Mehrere Tausend Menschen haben schon einen Petition unterzeichnet. Die Entscheidung liegt aber nach aktueller Rechtslage bei den drei KV-Vorständen (Dr. Peter Heinz, Dr. Andreas Bartels, Peter Andreas Staub).

Der Vorstand und Mitglieder des Ärztevereins Ingelheim und Umgebung halten die ausreichende, wirtschaftliche und zweckdienliche Versorgung ihrer Patienten außerhalb der Sprechzeiten ihrer Praxen für massiv gefährdet. Ein vermehrtes Angebot von Hausbesuchen kann die direkte persönliche Versorgung vor Ort von einer Bevölkerung von etwa 50.000 Menschen, von denen etwa jeder zehnte pro Jahr die BDZ aufgesucht hat, sicher nicht ausreichend ersetzen, da pro Arztstunde dabei weniger Patienten versorgt werden können als in einer Praxis. Auch telemedizinische Angebote (z.B. Videoberatung über Handy) erreichen nicht alle Patienten mit akuten körperlichen und psychischen Erkrankungen. Die zusätzlichen Autofahrten für Hausbesuche oder zu weiter entfernten Praxen oder Notaufnahmen sind weder effizient noch sozial oder ökologisch sinnvoll. Wir fordern weiterhin eine wohnortnahe medizinische Versorgung. Einschränkungen bei den Öffnungszeiten der BDZ würden mittragen, soweit sie z.B. wegen allgemeinen Kostensteigerungen und Fachkräftemangel notwendig sind und nachvollziehbar begründet werden. Die Situation in Ingelheim ist in wesentlichen Punkten anders als in den anderen sechs zur Schließung anstehenden Praxen in eher ländlichen Regionen des Bundeslands. Die Zerstörung des ärztlichen Bereitschaftsdiensts in Ingelheim, der wesentlicher Teil der gewachsenen Infrastruktur dieser Stadt ist, wollen wir nicht einfach hinnehmen.

Ergänzende Hintergrundinformationen:

Die BDZ Ingelheim versorgte 2022 insgesamt 5786 Menschen

Bis 2019 waren es sogar 8369 pro Jahr. Damals war die BDZ noch die ganze Nacht (bis 7 Uhr morgens) besetzt.

Ein überregionaler Fahrdienst soll den Reduktion in den Bereitschaftspraxen ausgleichen, der bei z.T. einfachen Fahrstrecken von 40km dies aber kaum leisten kann, insbesondere da auch die Öffnungszeiten der ohnehin schon überfüllten Praxen in Mainz und Bad Kreuznach ab 01.01.drastisch gekürzt werden.

Wenn die Praxis in Ingelheim schließt, lösen sich die Patienten ja nicht in Luft auf. Unsere Patienten bevölkern dann die Notaufnahmen und die sind schon überlastet, wie wir regelmäßig von unseren Patienten eindringlich geschildert bekommen.

Das Vorsortieren von lebensbedrohlichen Notfälle gegenüber dringenden, aber nicht lebensbedrohlichen Hausarztfällen, wofür die Bereitschaftspraxen nachts ähnlich wie die Hausarztpraxen tagsüber qualifiziert sind, fällt weg.

Diese Entscheidung bedeutet „den Kollaps für die Notaufnahmen der Krankenhäuser“ und des Rettungsdienstes weil viele Patienten sich dann verunsichert ins Krankenhaus fahren lassen („Da geht es um Leben und Tod. Da klaut dann jemand, dem ein Hausarzt helfen könnte, dem lebensbedrohlich gefährdeten Patienten den Platz.“)

Das Problem wird von den Bereitschaftspraxen in die Notaufnahmen und zum Rettungsdienst (der auch abgebaut wurde) verschoben

Durch die zusätzlichen Patienten wird es für die ohnehin meist kurz vor der Insolvenz stehenden Kliniken deutlich teurer.

Die KV lebt von dem niedergelassenen Bereich und schiebt die Kosten in den Krankenhausbereich – ein „gesundes Gesundheitssystem“ kann aber nur mit Solidarität der beteiligten Akteure und Strukturen funktionieren.

Fahrdienst kann Bereitschaftspraxis nicht ersetzen

Die Idee, dass durch die Schließung der BDZ die Patienten besser versorgt sein werden, weil sie individuell zu Hause besucht werden, ist unsinnig, da Hausbesuche aufwändig sind, wie jeder niedergelassene Arzt weiß und auch seinen Patienten vermitteln muss.

Es gibt den Fahrdienst nur überregional, und ab 01.01. auch nur noch mittwochs, freitags, samstags und sonntags, und nur bis in die Abendstunden.

Erfahrungsgemäß kann ein Hausbesuchsdienst in 12 Stunden maximal 20 Besuche durchführen, in einer Bereitschaftsdienstzentrale waren es durchschnittlich etwa 50, die an einem normalen Samstag in Ingelheim ambulant versorgt werden. Dazu musste der Hausbesuchsdienst noch Pflegeheime anfahren. Und die Wege dieses überregionalen Fahrdienstes betragen oft >30km.

Sofern sie also nicht die Notaufnahmen blockieren, bleiben Patienten dann unversorgt und/oder belasten an Folgetagen die Praxen noch mehr. Aus gut nachvollziehbaren Gründen benötigen nämlich aufgrund vorheriger Ereignisse unzufriedene Patienten in den Praxen mehr Zeit.

Kein Ärzte-/Personalmangel im Bereitschaftsdienst im Rhein-Main-Gebiet

Es gibt hier in Ingelheim (im Gegensatz zu anderen Regionen des Landes) im Bereitschaftsdienst keinen Ärztemangel, sondern ausreichend Kollegen, die diese Dienste gerne und motiviert machen. Sie entlasten Notaufnahmen, Kinderkliniken, und sind billiger als ein Fahrdienst (für Fahrdienste und Telemedizinmitarbeiter sind Zuschläge geplant). Sie werden durch Schließung hier nicht ins flache Land abwandern, sondern eher nach Hessen.

Der Telefondienst wird auf Minijobbasis gerne von Fachangestellten gemacht, die damit als allein erziehende Mütter oder Rentnerinnen außerhalb der üblichen Arbeitszeiten ein notwendiges Zubrot verdienen.

Hohe Bevölkerungsdichte um Ingelheim

Insgesamt ist die Versorgungsstruktur im Rhein-Main-Gebiet deutlich anders als in Westerwald, Eifel und Hunsrück, die auch eine deutlich niedrigere Bevölkerungsdichte haben.

In Ingelheim und angrenzenden Städten und Gemeinden wohnen über 50.000 Menschen, die von der BDZ versorgt werden.

Niedergelassene Ärzte

Sogenannte Vertragsärzte haben eine Zulassung durch die Kassenärztliche Vereinigung und damit die Erlaubnis, Kassenpatienten zu behandeln (und über die KV oder über Hausarztverträge direkt von den gesetzlichen Krankenkassen Geld zu bekommen). Andere niedergelassene Ärzte sind rein als Privatärzte tätig.

Früher mussten Hausärzte jederzeit erreichbar sein und versorgte die Patienten rund um die Uhr selbst oder in kollegialen Vertretungssystemen, wie dies heute noch bei den Apotheken der Fall ist. Ärztlicherseits tat man sich in Ärztevereinen zusammen, die diese Dienste organisierten. Im Rahmen der drohenden Entmachtung der KV durch Genossenschaften 2006 entsann sich die KV des „Sicherstellungsauftrages“, und „entmachtete“ ihrerseits die Ärztevereine und organisiert seither den Bereitschaftsdienst. Jeder Niedergelassene muss dies aber mit einem Beitrag bezahlen.

Alle Vertragsärzte (nicht nur Hausärzte, auch alle Fachärzte mit KV-Zulassung) werden nach einem von der KV errichteten System im größeren Umkreis verpflichtet, Dienste in den Bereitschaftsdienstzentralen zu leisten. Sie können die Dienste an sogenannte Poolärzte weitergeben.

Poolärzte

Machen über 50% der Bereitschaftsdienste in Ingelheim.

Sie sind oft Kliniksärzte oder Rentner, die sich was dazu verdienen, im Rhein-Main-Gebiet lebt die Mehrheit der Poolärzte ausschließlich von diesen Diensten, viele haben auch einen Migrationshintergrund und versorgen mit ihrem Verdienst Familien in den Urspungsländern.

Diese Poolärzte haben ihre Sozialbeiträge bisher meistens selbst bezahlt

Vor vier Jahren gab es zum ersten Mal ein Sozialgerichtsurteil, das Scheinselbstständigkeit für alle Berufsgruppen klar definierte. Folgeurteile für Anwaltskanzleien, Notärzte, Architekten etc. folgten. Hiernach sind die Pool-Ärzte scheinselbstständig und eigentlich Angestellte der KV, da die KV ihre Bereitschaftspraxisräume stellt bzw. anmietet. Folglich muss die KV auch die Sozialbeiträge wie bei allen Angestellten üblich zur Hälfte bezahlen.

Dies ist nichts Neues, sondern nur scheint eher ein Vorwand für Schließungen zu sein.

Man hat es bei der KV seit Jahren gewusst, ignoriert und sich trotzdem (als einzige KV bundesweit) einen dritten KV-Vorstand gegönnt (Jahresgehalt pro Vorstand ca. 320.000 Euro)

Das heißt für die KV, dass sie Lohnnebenkosten zahlen muss. Lohnnebenkosten müssen auch rückwirkend bis zu dem Urteil von vor vier Jahren bezahlt werden.

Die meisten Poolärzte sind vom Urteil des Bundessozialgerichts erfreut, da sie wie so auch einen Anteil an ihrer Altersvorsorge und den Krankenversicherungskosten bezahlt bekommen.

Finanzierung der Bereitschaftspraxen

geschieht weitgehend durch die niedergelassenen Ärzte.

Dazu zahlen die Ärzte aktuell 270 Euro im Monat; dieser Betrag soll jetzt um 26 Prozent erhöht werden ab dem 1. Januar 2024 auf 340 Euro, das ist eine Erhöhung um 26% bei gleichzeitiger Schließung von Praxen und Einschränkung der Öffnungszeiten.

Die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz ist eine große, teure Verwaltung mit vielen Aufgaben fürs ganze Bundesland

Die KV RLP hat mit insgesamt ca. 8.000 Niedergelassenen ca. 1.750 Angestellte, davon ca. 700 in der Hauptverwaltung, und drei Vorstände - allerdings waren einige dieser Angestellten bisher z.B. in Rahmen von Minijobs gerade in den Bereitschaftspraxen tätig. Ihnen wurde jetzt teilweise gekündigt. 

Zum Vergleich: in Hessen gibt es in der KV für 15.000 Ärzte ca. 1000 Verwaltungsangestellte (mehr als dreimal so viele KV-Mitarbeiter pro Arzt in RLP) und (wie in allen anderen KVen) zwei Vorstände.

In Trier hat man sich zusätzlich für viele Millionen Euro eine Dependence aufgebaut,und nun frisch eingeweiht, deren Notwendigkeit in dieser Dimension umstritten ist.